Smarte, integrierte Bioraffinerien

Foto: Gutjahr/ATB

Smarte, integrierte Bioraffinerien

Ein Boost für die Kreislaufwirtschaft

Wertschöpfung ohne fossile Rohstoffe? Der Kern einer nachhaltigen, biobasierten Kreislaufwirtschaft ist es, unser Wirtschaftssystem auf nachwachsende, also biologische Rohstoffe umzustellen. Das bedeutet, über die Primärproduktion hinauszugehen und unsere biologischen Ressourcen optimal auszunutzen. Smarte, integrierten Bioraffinerien werden dafür eine Schlüsseltechnologie bilden.

Was Bioraffinerien aktuell leisten

Moderne Bioraffinerien bedienen sich verschiedener Umwandlungsverfahren. So gewinnen Landwirte aus dem Dung ihrer Milchkühe durch anaerobe Vergärung Biogas, Köhler verkohlen Holz zu Biokohle und Chemiekonzerne gewinnen durch Fermentation von Lebensmittelresten Milchsäure, die sich nicht nur in der Ernährungsindustrie einsetzen, sondern auch zu „Bioplastik“ weiterverarbeiten lässt. All diese Verfahren sind bereits heute gut erforscht und teilweise in industriellem Maßstab im Einsatz.

Was smarte, integrierte Bioraffinerien leisten könnten

Am ATB haben wir das Konzept von smarten, integrierten Bioraffinerien entwickelt. Anders als herkömmliche Bioraffinerien verbinden diese neuartigen Bioraffinerien mehrere Verfahren. Unsere Forscherinnen und Forscher haben herausgefunden, dass durch die Kombination der Verfahren starke Synergien entstehen. Die Prozesse ergänzen sich nicht nur, sondern optimieren sich gegenseitig, sodass ein biologisches Ausgangsmaterial am Ende vollständig verwertet wird.

Intelligente Bioraffinerien tragen direkt zum Schutz der kritischen planetarischen Grenzen bei, insbesondere zum Klimaschutz, indem sie die biobasierte Produktion maximieren, Kohlenstoff binden und speichern und Treibhausgasemissionen minimieren. Sie streben die vollständige Vermeidung von Abfällen an und wollen durch die Umwandlung aller Reststoffe in wertvolle Produkte eine vollständige Energieautarkie erreichen.

Zum Konzeptpapier

Vom Konzept zur Wirklichkeit

Für ein integriertes und smartes Konzept sind tausende Kombinationen von Rohstoffen, Prozessparametern und Umwandlungswegen denkbar. Deren Erforschung allein durch Experimente wäre jedoch kostspielig, zeitaufwendig und innerhalb des begrenzten Zeitrahmens, den wir zur Bewältigung der Klimakrise haben, nicht realisierbar. Daher setzen wir auf künstliche Intelligenz, maschinelles Lernen und digitale Zwillingstechnologien, um neue und bisher unbekannte Synergien aufzudecken. Diese Werkzeuge ermöglichen die Entwicklung von Bioraffinerien, die sich an unterschiedliche Biomassearten anpassen lassen, die Produktionskosten deutlich senken, die Umweltbelastung minimieren und die Kreislaufwirtschaft fördern.

Die Herausforderungen und unser Lösungsansatz

Die verschiedenen Umwandlungsverfahren lassen sich durch Einstellen vieler Parameter beeinflussen. Zudem wollen wir eine Vielzahl regional und saisonal variierender Biomasse-Rohstoffe (bis zu 90) nutzen. Weiterhin lassen sich die verschiedenen Verfahren beliebig miteinander kombinieren, was zu einer enormen Anzahl potenzieller Szenarien führt. Eine experimentelle Untersuchung all dieser Möglichkeiten wäre viel zu kostspielig und zeitaufwendig, weshalb wir auf KI-gesteuerte Simulationen setzen, um effiziente Ansätze zu identifizieren. Dabei optimieren wir zunächst Teilsysteme und verbinden diese schrittweise. Indem wir weltweites Industriewissen und Forschungsergebnisse mit Sensorik, KI, digitalen Zwillingen und fortschrittlichen Modellierungstechniken kombinieren, ermöglichen wir die Entwicklung anpassungsfähiger und skalierbarer intelligenter Bioraffinerien. Diese können eine große Anzahl von Szenarien verarbeiten, um eine nachhaltige Bioökonomie ohne Abfall innerhalb der planetaren Grenzen zu realisieren.

Die Chancen

Landwirtschafts- und Gartenabfälle, Reste aus der Lebensmittelindustrie, Biomüll aus der Tonne und Textilabfälle – Jeder biologische Reststoff eignet sich auch als Ausgangsstoff für eine Umwandlung hin zu einem Wertstoff. Sie fallen überall an und bergen das Potenzial Kreisläufe zu schließen. Da sie je nach regional vorhandenen Ausgangsstoffen aufgebaut und konfiguriert werden können, stärken sie die wirtschaftliche Wertschöpfung regional und sorgen für mehr Unabhängigkeit von Rohstoffimporten.

In der unteren Box finden Sie Verfahrenskombinationen, mit denen wir bereits enorme, positive Effekte nachweisen konnten.

Umwandlungsverfahren im Überblick

Thermochemische Konversion

Pyrolyse

… wandelt trockene Biomasse und Reststoffe bei 300 - 900 °C unter Sauerstoffausschluss in Wärme, Chemikalien und Biokohle um. Biokohle kann als Hilfsstoff den Boden verbessern und wegen seiner hohen chemischen Stabilität Kohlenstoff über 100 Jahre im Boden binden.

Humifizierung/Fulvierung

… wandelt feuchte biogene Reststoffe bei unter 250 °C unter alkalischen Bedingungen in nährstoffreiche Flüssigkeiten um, die Huminstoffe enthalten. Fulvierung arbeitet bei höherer Alkalität als Humifizierung. Huminstoffe dienen als Düngemittel in Böden und Hydrokulturen.

Hydrothermale Karbonisierung

… wandelt feuchte Biomasse wie Lebensmittelreste, Gülle oder Algen bei 180 - 250 °C unter Druck in Hydrokohle und nährstoffreiche Flüssigkeit um. Hydrokohle ist ein kohleähnlicher Feststoff, der als Energieträger, Bodenhilfsstoff und Kohlenstoffspeicher genutzt wird.

Biotechnologische Konversion

Fermentation

… wandelt Zucker aus biogenen Roh-
und Reststoffen unter kontrollierten Bedingungen mithilfe von Mikroorganismen in Biochemikalien
und Ethanol um. Milchsäure und Bernsteinsäure sind Plattformchemikalien, können also zu vielfältigen Zwecken verwendet und weiterverarbeitet werden.

Anaerobe Vergärung

… wandelt Zucker aus biogenen Roh- und Reststoffen bei Sauerstoffausschluss mithilfe von Mikroorganismen in nährstoffreiche Gärreste und Biogas um. Gärreste dienen als Düngemittel. Biogas enthält Methan, das als Energieträger fungiert.

Biologische Konversion

Insekten

… wie die schwarze Soldatenfliege oder das Heimchen wandeln biogene Roh- und Reststoffe in Proteine, Chitin und Öle um. Insekten dienen damit der menschliche und tierischen Ernährung, als Düngemittel und Biomaterial.

Quallen

… zum Beispiel aus einer Quallenblüte in Küstengewässern wandeln Biomasse in Kollagen, bioaktive Peptide und Proteinhydrolysate um. Damit liefern sie Rohstoffe für Kosmetika, Arzneien, Nahrungs- und Düngemittel. 

Algen

… wie Mikro- und Makroalgen wandeln CO2 und Licht in Lipide, Proteine und bioaktive Verbindungen um. Sie liefern damit Rohstoffe für Biokraftstoff, Biochemikalien und binden Kohlenstoff. 

Fermentation – künstliche Humifizierung

Durch anaeroben Vergärung entsteht Biogas, das wir als Energieträger nutzen können. Im Gärrest verbleiben jedoch wertvolle organische Verbindungen. Anstatt den Gärrest wie üblich als Dünger zu verwenden, können wir ihn durch hydrothermale Humifizierung in künstliche Huminstoffe umwandeln. Bringt man Huminstoffe anstelle von Gärrest auf landwirtschaftlichen Böden aus, stabilisieren sie die Bakterienvielfalt und verbessern die Bodengesundheit. Gleichzeitig entstehen bei der Humifizierung der Gärreste lösliche organische Verbindungen in der Prozessflüssigkeit. Wenn wir diese bei der Biogaserzeugung wieder dem anaeroben Prozess zuführen, können wir die Methanausbeute verdoppeln.

Fermentation – Pyrolyse – Algenzucht

Durch die Zugabe von Biokohle während der Fermentation werden prozesshemmende Lignine abgebaut. In der Produktion von Biochemikalien wird so die Ethanol- und Milchsäureausbeute deutlich erhöht. Darüber hinaus kann die bei der Pyrolyse erzeugte Biowärme und Elektrizität für die Fermentation genutzt werden, was die Abhängigkeit von externen Energiequellen verringert. Die bei der Pyrolyse entstehenden CO₂-Emissionen können aufgefangen und für die Kultivierung von Algen verwendet werden, die wiederum als alternative Proteinquelle dienen.

Fermentation – Pyrolyse

Ein weiterer vielversprechender Ansatz ist die Kombination von anaerober Fermentation mit Pyrolyse, also Verkohlung. Die Biokohle wirkt als Katalysator und steigert die Effizienz der Biogasproduktion. Gleichzeitig wird die Biokohle mit Nährstoffen angereichert. Bringt man die Biokohle auf das Feld aus, kann sie den Boden verbessern und – je nach Prozessbedingungen – Kohlenstoff für mehr als ein Jahrhundert speichern.

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Themen-Experte

Dr. rer.agr. Hoffmann, Thomas

Leiter Abteilung Systemverfahrenstechnik


Abteilung: Systemverfahrenstechnik

E-Mail: THoffmann@spam.atb-potsdam.de

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